Rudolf Flesch , US-amerikanischer Autor und Experte für Lesbarkeit von Texten.

Mittwoch, 12. August 2015

Warum wir uns über den "Whataboutism" der Putinversteher nicht ärgern....

.....sondern freuen sollten.
Man stelle sich einfach mal vor:
Die Medien berichten über steigende Arbeitslosenzahlen in Deutschland, und keine 10 Kommentare später kommt der Erste und fängt an zu lamentieren dies wäre "Deutschlandhetze" und in Spanien und Griechenland ist es noch viel schlimmer!
Naja, probieren geht über studieren, also mal nachblättern:
Ein Artikel über die Armut in den USA... ich suche und suche in den Kommentaren ob denn mal wenigstens einer etwas in der Art schreiben würde das es in Russland ja noch viel schlimmer sei....aber nö, nix.
Ein Artikel über steigende Armut in Russland und "zack" gleich erste Kommentar-Seite:
"steigende Armut haben wir auch in D....in Russland ist alles Bestens...immer dieses Russlandbashing....usw."

Aber, man kennt das ja schon, sobald ein russlandkritischer Artikel in den Medien erscheint, dauert es kein Dutzend Kommentare und die USA und/oder Europa stehen am Pranger!
Sei es nun zur Rolle Russlands in der Ukrainekrise, die politische Entwicklung oder die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation in Russland.
Richtig giftig werden ja die Putinversteher wenn es um die MH-17 Tragödie geht. Ja, es ist schon ärgerlich wenn die "Lügenpresse" dieses Thema immer wieder aufgreift, denn inzwischen steckt man als pro-russischer Kommentator in einer Argumentationszwickmühle.
So kann man einerseits auf einen weiteren Propagandazug des Kremls aufspringen und nach den vielen Erklärungsversuchen eine MIG-29, eine, vielleicht waren es aber auch zwei SU-25 mit oder ohne israelische "Phyton", einer ukrainischen BUK oder der neusten Version es war eine Bombe an Bord für das Unglück verantwortlich machen.
Nur, inzwischen macht man sich als Putintroll mit jeder weiteren "Version" die man treu verteidigt immer unglaubwürdiger. Ja, teilweise schlägt dem Kommentator inzwischen Häme und Gelächter entgegen wenn man als Putinist mit dem neusten Erklärungsversuch zum Absturz der MH-17 aus den russischen Medien und dem Kreml ankommt.

Andererseits: Was aber immer wieder hilft ist "Whataboutism".
Russische Bomber stürzen ab, und gleich wird auf den A-400 M verwiesen.
Russland vernichtet tonnenweise Lebensmittel! Na und, macht doch der Westen auch.
Eine teure Armbabduhr am Handgelenk des Sprechers von Putin wird quittiert mit einem Fingerzeig auf Nebeneinkünfte deutscher Politiker.
Ärgern sollte man sich darüber allerdings nicht.
Denn, warum gerade diese Argumentationstaktik aus Sankt Petersburg und den ganzen restlichen Verteidigern der russischen Sichtweise ein "Schuss ins eigene Knie" ist will ich hier mal erläutern.
Begriffserklärung laut Wikipedia:
"Whataboutism"(aus dem Englischen: „What about?“ = „Was ist mit“ und dem Suffix -ism = „ismus“ zusammengesetzt) ist ein Begriff aus der Politik, welcher eine " Propagandataktik bezeichnet, die von der Sowjetunion bei ihrem Umgang mit der westlichen Welt während des Kalten Krieges verwendet wurde. Die Taktik wurde angewendet, wenn Kritik an der Politik der Sowjetunion geäußert wurde, wobei „Was ist mit…“ erwidert wurde, gefolgt von der Benennung einer Begebenheit in der westlichen Welt, welche Ähnlichkeiten mit dem ursprünglichen Gegenstand der Kritik aufweisen sollte. Es stellt einen Fall von tu quoque dar, beziehungsweise von einem logischen Fehlschluss, der versucht, die Position des Gegners zu diskreditieren, ohne seine anfänglichen Argumente direkt zu widerlegen.

Schon zu Zeiten der Sowjetunion gab es auch schon eine kleine Anekdote darüber:
Ein Bürger der USA besucht Moskau. Am Moskauer Hauptbahnhof erklärt ihm der russische Reiseführer alle 30 min. würde hier ein Zug nach Sankt Petersburg, ein Zug nach Wladiwostok und ein Zug nach Kiew fahren. Nach einer Stunde bemerkt der US Bürger an, daß sie nun seit über einer Stunde hier stünden aber noch kein einziger Zug in irgendeine Richtung gefahren wäre, worauf der russische Reiseführer antwortete: " Und ihr seid schlecht zu den Afro-Amerikanern"

So bedient man sich bei der Diskussion zum MH-17 Abschuss gerne am "Whataboutism" und führt z.B. den durch die USS Vincennes abgeschossenen Iran-Air Flug 655 an.
Der Kommentator Olaf in der WELT reagierte auf diesen Whataboutism m.E. wunderbar mit einem sehr gut zusammengefassten und entlarvenden Beitrag:
"Aber auch der Rest Ihres Kommentares ist unlauter. Die Hintergründe zu 655 waren ein bisschen anders als bei MH17 und insgesamt eine Verkettung unglücklicher Umstände. Aber das verschweigen Sie natürlich. So befand sich die USS Vincennes (die zum Schutz ziviler Schiffe abgestellt war) zum Zeitpunkt des Abschusses im Gefecht mit iranischen Kanonenbooten. Dann startete 655 von einem Flughafen, der auch militärisch genutzt wurde und von dem kurz zuvor auch eine Militärmaschine gestartet war. Ein Umstand, der bei euch Putintrollen - wenn man sich an euer Geschrei erinnert, wie ihr der Ukraine die Schuld in die Schuhe geschoben habt, weil sie den Luftraum erst ab unter 10000 Metern gesperrt hat - eigentlich dazu führen müsste, dass ihr dem Iran die Schuld an dem Abschuss gebt. Da aber euer Geschrei hier ausbleibt, ist eure Glaubwürdigkeit schon mal zum Teufel.
Die USS Vincennes identifizierte 655 als Militärmaschine - was an dem zuvor gestarteten Militärflugzeug lag. Man funkte die Piloten von 655 sogar noch an, aber diese Idioten antworteten nicht. Und da kurz zuvor ein anderes US-Kriegsschiff von iranischen Kampfjets angegriffen worden war, bei dem über 30 US-Soldaten gestorben sind, gab es auf Grund der Umstände und im Sinne der Selbstverteidigung und Schutz der eigenen Soldaten leider keine andere Wahl, als
das Flugzeug abzuschießen. Ich hätte als Kommandant genauso entschieden und entscheiden müssen. Und wenn Sie ehrlich sind, Sie auch! Im übrigen hat die USA zu ihrer Verantwortung an dem Unglück gestanden und erhebliche Entschädigungen gezahlt.

Die Separatisten und Russland hingegen haben aus einem illegalen Angriffskrieg heraus eine Maschine beschossen, um zu Töten und mit dem Abschuss zu prahlen. Und bisher hat niemand von Ihnen die Verantwortung übernommen. Das ist kriminell - oder anders gesagt: kaltblütiger Mord!"

Ein beachtenswerter Kommentar von Olaf in der WELT zum Thema "Russland wehrt sich gegen MH-17 Straftribunal" vom 21.07.2015.
Dennoch, und das obwohl wunderbar auf den Whataboutism mit Fakten reagiert und somit klargestellt wurde warum der Vergleich MH-17 - Iran-Air 655 hinkt. sollte man das eigentliche Ziel dieser "Der aber auch..."-Argumentation nicht aus den Augen verlieren.
1. Vom eigentlichen Thema ablenken, mit dem Ziel das im weiteren Verlauf über etwas ganz anderes diskutiert wird.....!
2. Dem weiteren Ziel dem Leser weis zu machen das eigentlich alle "Dreck am Stecken haben" um somit selbst die schlimmsten Vergehen damit zu relativieren!

So ist es meiner Ansicht nach durchaus angebracht immer genau nachzufragen was der Kommentator denn nun genau mit dem "Whataboutism" bezwecken will, und ob dies nun als unausgesprochenes Eingeständnis zu den Vorwürfen ( sei es MH-17, russische Soldaten im Donbass, wirtschaftliche Lage in RU usw. ) zu werten ist, da die Vorwürfe ja nicht bestritten, sondern im Gegenteil sogar bestätigt werden mit "die anderen aber auch.....".
Das ist nämlich die Crux am Whataboutism: Der Verweis darauf das der Andere auch was angestellt , etwas nicht so läuft oder kaputtgemacht hat widerlegt eben nicht die Schuld, sondern gesteht sie, unausgesprochen zwar, aber genaugenommen ein.
So ist es auch keine Frage der Gerechtigkeit wenn mit "Whataboutism" argumentiert wird, denn wie schon angesprochen geht es im jeweiligen speziellen Fall um die Frage der Schuld gegen jenen welcher mit den Vorwürfen konfrontiert wird! Wird man beispielsweise wegen überhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn von der Polizei herausgezogen, nutzt es wenig auf den Sportwagenfahrer zu verweisen der mindestens genauso schnell vorausgefahren ist, aber nicht von der Polizei herausgezogen wurde.
Sicherlich, das mag ungerecht erscheinen, letztendlich wird man aber das "Ticket" bezahlen müssen, weil man Schuld auf sich geladen hat!

Also, wenn wieder mal so ein Vatnik ankommt und abgestürzte russische Flugzeuge mit den versenkten US Kriegsschiffen in Pearl Harbour ( is kein Witz! ) gegeneinander aufrechnen will fragt mal genau nach warum er das macht!